Irland, Nordirland, Baskenland, Italien

Irland,
Nordirland,
Baskenland,
Italien

Irische Insel, Baskenland, Italien? Ja, richtig gelesen! Ein Hoch auf die europäische Völkerfreundschaft. Da fährt man nur mal schnell nach Prag, um dort sein obligatorisches Auslandssemester zu verbringen und schon jettet man durch den Kontinent, um Freundschaften zu pflegen und seiner italienischen Herzensdame Blumen in die ewige Stadt am Tiber vorbeizubringen. Doch den geneigten Hobby-Hopper und Länderpunktjäger überzeugt dies alleine nicht, um ihn aus seinem natürlichen Lebensraum östlich des Eisernen Vorhangs hervorzulocken. Da müssen schon andere Geschütze aufgefahren werden und so lockte der Trip schließlich auch unter anderem mit Stadtderbys, Classicos und dem Showdown der Europapokal-KO-Runde. Das alles gespickt mit viel Geschichte und politischer Brisanz. Kurz gesagt: Nach langer Zeit sollte nun also mal wieder ein Urlaub abseits von Karpaten und Cevapi stattfinden.

Also wer auch immer irgendwann mal den Mumpitz verbreitet hat, dass Irland ein tolles Land für den Konsum alkoholischer Getränke in urigen Kneipen wäre, kann nicht ganz bei Trost gewesen sein. Auch diese weltweite, völlig absurde Faszination für den St. Patricks Day oder das Abhängen in Irish Pubs will sich mir nicht so Recht erschließen. Denn das Mutterland dieses ganzen Zirkus ist meinetwegen zu Recht berühmt für seine circa acht Millionen Schafe auf saftigen, grünen Wiesen oder seine atemberaubenden steilen Klippen. Doch eins steht fest: Für feuchtfröhliche Grenzüberschreitungen werde ich definitiv nicht wieder auf die grüne Insel fahren. Zumindest nicht mehr in meinem Studentenleben. Sechs Euro für ein Guinness im Pub? Nichts Ungewöhnliches. Dafür aber ein konsequent durchgezogenes Alkoholverbot auf den Straßen und öffentlichen Plätzen. Da muss man als notorischer Sparfuchs schon kreativ sein und die ohnehin schon kaum vorhandene Hemmschwelle nochmal eine Stufe tiefer legen. Also deckte sich unsere dreiköpfige Reisegruppe stets rechtzeitig (natürlich darf ab einer bestimmten Zeit kein Bier mehr verkauft werden) ordentlich in der Kaufhalle ein. Nachdem das Erworbene gründlich in allen möglichen Taschen verstaut war, huschte man mit auffällig ausgebeulten Jacken an den Türstehern vorbei, griff sich fix eins von unzähligen leeren Biergläsern von einem der Tische und verschwand direkt auf den Abort des Pubs, um sich dort sein eigenes Bier von der Dose zu zapfen. Mangels Alternativen wurde der dabei entstehende Aluminium-Abfall kurzum auf dem Klo zurückgelassen, sodass sich nach einiger Zeit Pub-Aufenthalt ein beachtlicher Umfang an Bierdosen neben der Schüssel wiederfand. So ließ sich auch der Auflauf an sich in den Armen liegendem und „Wonderwall“ mitgröhlendem Touri-Volk ertragen.

Aber, aber liebe Leute. Das liest sich hier Alles so negativ. Denn auch wenn mich Dublin an sich, als erster Stopp meiner kleinen Europaodyssee, nicht sonderlich vom Hocker gehauen hat, kommt man als Fußballnerd natürlich letztendlich doch immer an diese typischen Orte, wo die klassischen Touristen niemals einen Fuß hinsetzen werden.

Bohemian FC Dublin gegen
St. Patrick’s Athletic FC – 0:1
Dalymount Park
2.814 Zuschauer (ca. 350 Gäste)
Premier Division (1. Liga)
09. März 2018

Solch ein magischer Ort ist der Dalymount Park, Heimspielstätte des irischen Erstligisten Bohemian FC, ohne Frage. Lässt man das Zentrum rund um die weltbekannte Temple Bar und das Trinity College links liegen und legt die gut drei Kilometer in den Norden Dublins zurück, lässt das magische Flutlicht hinter den roten Backsteinhäusern das Fußballherz schnell höher schlagen. Am altehrwürdigen Vereins-Pub „The Bohemian“ vorbei, durch eine enge, dunkle Gasse und man steht vor dem markanten eisernen Torbogen an der Wellblechfassade dieses wunderschönen abgerockten Oldschoolgrounds. Bei strömendem Regen waren wir froh, dass wir unser mitgeschlepptes Gepäck mit hineinnehmen konnten. Nach einer kurzen oberflächlichen Kontrolle, bei der der Ordner nicht schlecht über den sich in meinem Gepäck befindlichen Bikini staunte, durften wir uns durch das verrostete Drehkreuz ins Innere der Haupttribüne quetschen. Viel größer hätte der Rucksack aber auch nicht sein dürfen, um hier noch durchzupassen. Drinnen ein wahres Labyrinth an schlecht-beleuchteten Gängen und Trinkhallen, wo die Heimfans sich auf das kleine Hauptstadtderby gegen St. Pats einstimmten. Am Ende werden es wohl circa 2.500 Fußballfreunde gewesen sein, die sich an diesem Abend im traditionsreichen Dalymount Park eingefunden hatten, um sich diesen Kick in der noch jungen Saison nicht entgehen zu lassen. Das Stadion öffnet bereits seit 1901 seine Pforten für die Menschen, die von der Ballzauberei des elffachen irischen Meisters einfach nicht genug bekommen können. Die letzte Renovierung der Hütte, datiert aus dem Jahre 1999, haben augenscheinlich nicht alle Tribünen aktiv miterlebt. Während die Haupttribüne, auf der sich der Heimanhang breit macht, vollständig überdacht ist, besteht die Gegengerade zur einen Hälfte aus einer leeren unüberdachten Sitzplatztribüne und zur anderen aus einem Parkplatz. Hinter dem einem Tor findet sich der, auch nur auf der einen Hälfte überdachte, Gästeblock wieder, während auf der gegenüberliegenden Seite das Licht der altehrwürdigen Flutlichtmasten auf eine verwilderte Stehplatztribüne scheint. Top-aktuelle Werbebanden für FIFA15, coole Graffitis und die Fahne des „Gypsies Supporters Trust“ sind nur einige kleine Details, die es dort sonst noch zu entdecken gibt. Dazu markige Kuttenlegenden, die auf dem Weg zum Bierholen – wahrscheinlich schon seit 30 Jahren – dieselben Schlachtrufe anstimmen, die sofort die ganze Tribüne mitgrölt. Alles in Allem also einfach eine richtig ehrliche und authentische Fußballatmosphäre. Bohemian ist angeblich auch der einzige Verein in der ersten irischen Liga, der komplett in der Hand seiner Mitglieder liegt. Da macht es mir auch nichts aus, dass hier an organisierten Support nicht zu denken ist oder dass die beiden Teams auf dem Rasen keinen einzigen Pass an den Mitspieler bringen. Wir lassen uns einfach vom Drumherum berauschen und erwärmen uns am reingeschmuggelten Whiskey. Das Spiel plätschert so vor sich hin. Irgendwann schlagen die Gäste doch noch einmal zu und da die „Bohs“ es vorher nicht fertig bringen konnten, einen geschundenen Elfmeter im Tor unterzubringen, geht das Spiel verloren. Daraufhin wurde, wie das ganze Spiel schon, der Gästemob nochmal mit wüsten Beschimpfungen eingedeckt, bevor sich der Großteil der Zuschauer durch den immer noch strömenden Regen auf in die warme Stube machte. Was bleibt, ist auf der einen Seite ein furchtbarer Grottenkick und auf der anderen ein absolut genialer Gammelground, der sich dem Länderpunkt Irland als mehr als würdig erweisen konnte. Wir wiederum sputeten uns, um den Nachtbus nach Belfast zu unserem nächsten Stopp zu erwischen.

Belfast. Was für eine interessante Stadt. Es fiel schwer, sich den alltäglichen Terror des Nordirlandkonfliktes vorzustellen. Ein Konflikt, den viele Menschen miterlebt haben, davon geprägt wurden und der deshalb irgendwie immer noch zu brodeln scheint. Man stelle sich vor, dass am „Bloody Friday“ im Juli 1972 insgesamt 22 Bomben in Belfast explodierten. Natürlich erzählt jede Partei seine eigene Geschichte zu den Vorkommnissen und es ist einem als Außenstehender unmöglich, sich eindeutig zu positionieren. Diese verfahrene Situation ging natürlich auch nicht an der hiesigen Fußballkultur vorbei. Wie es in kleineren Ligen häufiger der Fall ist, kommen viele Vereine aus der Hauptstadt, woraus logischerweise das ein oder andere Derby resultiert. Bemerkenswert ist aber, dass DAS Hauptstadtderby seit Mitte des 20. Jahrhunderts gar nicht mehr existiert. Linfield FC gegen Belfast Celtic war über lange Zeit das nordirische Pendant zum schottischen Old Firm zwischen den Glasgow Rangers und dem Celtic FC. Bis 1949 konnten für die Spiele im Belfaster Celtic Park oder dem Windsor Park Menschenmassen mobilisiert werden, die heute utopisch anmuten. Die Begeisterung für dieses Derby und der damit verbundene Hass auf den Gegner bedeutete letztlich auch das Ende dieser Rivalität. Nachdem bei Auseinandersetzungen im Stadion zwischen Protestanten und irisch-katholischen Nationalisten die Mannschaft des Belfast Celtic FC aufgemischt worden war und einer der Stürmer aufgrund schwerer Verletzungen für zwei Jahre nicht mehr gegen einen Ball treten konnte, wurde der Club aus dem Ligabetrieb abgemeldet und letztendlich aufgelöst.

Linfield wiederum ist bis heute der erfolgreichste Verein Nordirlands und hat sich mit der Zeit neue Feinde gesucht. Das Duell gegen Glentoran FC gilt als das größte Derby des Landes, ist aber weniger durch ethnische Konflikte geprägt, als durch die sportliche Brisanz zwischen den „Big Two“. Das Derby gegen Cliftonville FC aus dem Norden Belfasts hingegen verkörpert nach wie vor den uralten Konflikt zwischen protestantisch-britisch und irisch-katholisch. Womit wir auch beim heutigen Kick wären.

Cliftonville FC gegen
Crusaders FC – 3:1
Solitude
1.500 Zuschauer (ca. 400 Gäste)
NIFL Premiership (1. Liga)
10. März 2018

Belfast begrüßte uns mit strömendem Regen – welche Überraschung. Per Bus ging es für uns von der City Hall und dem daneben entstehenden George Best-Hotel raus in den Norden, wo das Stadion Solitude steht. Nicht viel ließ auf dem Weg erahnen, dass hier heute das Nord-Belfast-Derby zwischen dem traditionsreichen Cliftonville und dem aktuellen Tabellenführer Crudaders FC ausgespielt werden sollte. Die breite Masse der Belfaster zog diesem Klassiker lieber die englische Premier League vor und hing im Pub, um sich Liverpool gegen ManU anzuschauen. Schade, aber die Treuesten der Treuen kommen natürlich trotzdem und so werden es wohl doch etwa 1.500 Gestalten gewesen sein, die sich durch die auch hier wieder extrem engen Drehkreuze ins Stadion wälzten. Und was soll ich sagen, alle die lieber den unsympathisch-austauschbaren Millionären auf Torejagd für irgendwelche Scheichs und fragwürdige Regimes zujubeln, verpassen hier mal definitiv etwas. Die Heimat Irlands ältesten Fußballclubs fetzt. Eine alte schimmlige Wellblechtribüne, in den rot-weißen Vereinsfarben bepinselt, und zwei neuere Hintertortribünen umfassen den Kunstrasenplatz. An der offenen Seite ein Klohäuschen, ein improvisierter Fanshop-Container und dahinter ein See. Dazu erzeugte der, den Platz einhüllende Nebel zusammen mit dem Flutlicht ein geniales Zwielicht und die Ansagen des Stadionsprechers kamen durch den Wackelkontakt der Beschallungsanlage auch nur sporadisch an. Zwar war auch hier, wie schon bei den „Bohs“ nicht an organisierten Support zu denken, aber pöbeln können sie auf der Tribüne wie die Weltmeister. Auch die Mannschaft war gut aufgelegt und verwöhnte seine Anhänger mit drei Toren in den ersten 20 Minuten gegen den hochfavorisierten Rivalen. Die Leute um uns herum konnten ihr Glück kaum fassen und auch wir stießen mit dem obligatorischen Whiskey an, hatten wir doch im Wettbüro kühn eine kleine aber feine Summe auf den Außenseiter gesetzt. Die Gruppenkasse sollte sich auch noch nach dem Abpfiff freuen, denn außer einem Anschlusstreffer kurz vor Schluss sprang nichts mehr für den Favoriten heraus und Cliftonville konnte den gleichwohl überraschenden wie auch verdienten Derbysieg feiern. Das eigentliche Highlight für uns sollte aber erst noch anstehen.

Bereits vor dem Anpfiff hatte ein feinhöriger Ordner uns aufgrund unserer Sprache messerscharf als Gäste der besonderen Art entlarvt. Hatten wir zu diesem Zeitpunkt sein Angebot zum Schießen eines Gruppenfotos noch belächelt, waren wir nun hellwach, als er uns anbot eine außerplanmäßige private Stadionführung zu geben. Also ließ man uns fix über den Zaun aufs Spielfeld hüpfen und lauschte der guten Seele des Vereins bei seinen Anekdoten aus 139 Jahren Vereinsgeschichte. Und davon gab es einige. Denn ohne es zu wissen, hatten wir uns hier und heute auf wahrhaft historischen Boden begeben. Laut unserem Guide soll nämlich im Solitude vor mehr als einem Jahrhundert der erste Elfmeter aller Zeiten ausgeführt worden sein. Nach kurzer Recherche erfährt man allerdings, dass der Gute uns leider nicht die ganze Wahrheit erzählt hatte. Der Elfmeter wurde im Jahre 1891 zwar tatsächlich auf der irischen Insel erfunden, allerdings von einem gewissen William McCrum, seines Zeichens Torhüter des Milford Everton FC. Im Solitude hingegen wurde lediglich der erste Elfmeter in einem internationalen Spiel – zwischen Irland und England – ausgeführt und passenderweise auch gleich verschossen. Ein bisschen Flunkern darf auch mal sein und immerhin reichte uns die Prominenz dieses Ortes aus, um ein Gruppenfoto von uns vor dem besagten Elfmeterpunkt knipsen zu lassen. Nach einer kurzen Runde durch die Katakomben und den Kabinentrakt der „Reds“, inklusive Anschiss durch den Manager des Clubs und damit verbundenem strategischem Rückzug, lieferte uns der Ordner schließlich im Vereinsheim ab. Im „Social Club“ wird Fannähe noch gelebt und so kann man dort gemütlich mit den frischgeduschten Spielern den einen oder anderen Pint leeren. Was für ein famoser Abschluss eines gelungenen Trips in die Abgründe des nordirischen (Halb-)Profifußballs. Einziger Wermutstropfen dann aber die Gewissheit, dass man anscheinend nicht als einziger das Ambiente im Solitude zu schätzen scheint. Wie bei so vielen mir sympathischen Vereinen bestehen unsäglicherweise freundschaftliche Beziehungen ins braun-weiße Hamburg zum FC St. Pauli.

Den gesamten Text findest du in der Printausgabe des CKHN3.

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